Kritische Fragen klug beantworten

Notwendigkeit von Suffizienz

Erneuerbare, Effizienz und Suffizienz

»Reichen denn Erneuerbare Energien und Energieeffizienz nicht aus?«

Auch Solaranlagen brauchen Ressourcen bei der Herstellung, der Anbau von Biomasse braucht Fläche. Und auch Produkte, die effizient hergestellt werden, helfen nicht, wenn mehr davon gekauft werden oder wenn sie häufiger genutzt werden wie zum Beispiel spritsparende Autos. Oder, wenn sie zusätzlich gekauft werden, wie Elektroautos. Dieser Rückkoppelungseffekt, auf Englisch »Reboundeffekt«, hebt dann die technische Einsparung wieder auf.

 

Technik

»Wollt ihr etwa zurück in die Steinzeit? Wir brauchen technische Innovationen, nicht Verzichtspredigten!«

Suffizienz ist eine Ergänzung zur Effizienz und Konsistenz, aber nur gemeinsam können alle Strategien ihre Wirkung entfalten. Suffizienz richtet sich also nicht gegen Fortschritt oder Technik. Soziale Innovationen wie etwa Car-Sharing haben nichts mit Verzichtspredigten zu tun, sondern mit cleveren Nutzungsformen, die Umwelt und den Geldbeutel schonen.

 

Individuelles und kollektives Handeln

»Wenn ich persönlich suffizient lebe, bringt das in der Konsumgesellschaft doch sowieso nichts!«

»…Und deshalb mache ich so weiter wie bisher«. Dieses Argument kann Ausrede für die eigene Bequemlichkeit sein, Zweifel an der Wirksamkeit ausdrücken oder Zeichen von Resignation sein. Da lohnt es zu diskutieren: Einzelne, die etwas ändern, können eben jedes Mal zeigen, dass »anders« geht und so auch andere Menschen dazu bewegen, sich anders zu verhalten. Es stimmt, dass individuelle Maßnahmen tatsächlich nur begrenzte Wirkung haben. Gerade deshalb ist Suffizienzpolitik nötig, damit ein anderer Lebensstil leichter wird und mehr Menschen einfacher mitmachen können. Außerdem kann man an dem Punkt der Wirksamkeit anknüpfen und motivieren, sich auf die wichtigen Stellschrauben (zum Beispiel selten fliegen) zu konzentrieren, statt alle Energie in weniger Wirksames zu stecken (Kartoffeln statt Reis essen).

 

Freiheit

Selbstbestimmung & Regeln

»Suffizienz schränkt unsere Freiheit ein, in einer liberalen Gesellschaft können wir nicht ständig neue Verbote schaffen!«

Gegenfrage: Wessen/welche Freiheiten werden durch den Status quo eingeschränkt? Wessen Interessen werden wie gewichtet? Suffizienz will einen Rahmen schaffen für verschiedene Lebensentwürfe. Dazu zählt auch: »Niemand soll immer mehr haben wollen müssen« (Uta Winterfeld). Deshalb soll Suffizienzpolitik mehr Selbstbestimmung ermöglichen, zum Beispiel die Freiheit, kein eigenes Auto zu haben und in Teilzeit zu arbeiten, um mehr zeitliche Spielräume zu haben.

 

Die Freiheit der anderen

»Meine Freiheit wird eingeschränkt, wenn Fliegen teurer wird!«

Es gibt kein Recht auf billige Flüge – zu Lasten anderer Menschen. Fliegen schränkt die Freiheit der Menschen ein, die jetzt schon oder in Zukunft vom Klimawandel betroffen sind. Wir werden uns darauf einstellen müssen, dass die Preise sich verändern, wenn darin die Umweltschäden enthalten sind. Und Klamotten werden auch teurer, wenn die Arbeitsplätze der an der Produktion beteiligten sicher werden und sie ausreichenden Lohn bekommen.

 

Ethik

Sozialer Ausgleich

»›Weniger ist mehr‹ muss man sich erstmal leisten können. Das ist doch nur ein neues Statussymbol für Privilegierte!«

Suffizienzmaßnahmen brauchen gute Argumente. Sind sie mit Verteuerungen beim Notwendigen im allgemeinen Lebensunterhalt verbunden, müssen Menschen mit geringem Einkommen mitgedacht werden und geeignete Ausgleiche eingeführt werden. So sind hier bei steigenden Energiepreisen Energieberatungen und die Förderung von Energiesparmaßnahmen wichtig. Suffizienz will, dass Lebensqualität ohne materiellen Reichtum erreicht werden kann – und damit gerade die Lebensqualität der weniger privilegierten Gruppen fördern, indem öffentliche Einrichtungen beibehalten und gefördert werden, wie Schwimmbäder, Musikschulen, Naturerlebnisräume.

 

Globale Gerechtigkeit

»Es ist total zynisch, Suffizienz zu fordern, wenn im globalen Süden Menschen an extremer Armut leiden!«

Zuallererst und vor allem anderen soll Suffizienz eine Strategie für die “entwickelten” Länder des globalen Nordens sein, denn hier ist ein „Weniger« angesagt. Gerade im Sinne einer globalen Gerechtigkeit muss der Norden seinen Lebensstil ändern, um die Entwicklungschancen des globalen Südens nicht einzuschränken. Auf der anderen Seite gibt es im globalen Süden viele Stimmen, die das Entwicklungskonzept des Westens als Herrschaftsinstrument betrachten und ihr Recht auf eine eigene Entwicklung betonen. Wir sollten zuhören und sehen, was wir vom Süden für einen neuen Lebensstil lernen können – und noch besser: gemeinsam diskutieren und lernen.

 

Das rechte Maß

»Wer bitte kann sich anmaßen, über das rechte Maß für alle zu bestimmen?«

Über das »rechte Maß« wird an vielen Stellen bestimmt: In der Familie über das Taschengeld, in der Kommune, welcher Raum für welche Verkehrsteilnehmenden zur Verfügung steht, in der Bundespolitik, welches Tempolimit auf Autobahnen gilt, auf den internationalen Klimakonferenzen, wieviel CO2 die Weltgemeinschaft ausstoßen darf. Wir müssen demokratisch und transparent über den Zugang und die Verteilung bei begrenztem Geld, Fläche, Ressourcen diskutieren und entscheiden. Die Regelungen sollten innerhalb der Begrenzungen möglichst viele Freiheitsspielräume geben, das jeweils individuell rechte Maß zu bestimmen. Das hängt dann von den politischen Maßnahmen ab, die von Kennzeichnungen über ökonomische Instrumente wie Steuern und Subventionen bis hin zu Verboten reichen.

 

Praktikabilität

Genuss

»Wo bleibt denn da der Spaß und Genuss? Ich will mir ja auch mal was gönnen!«

Suffizienz kann schön sein und Freude bereiten! Sich etwas gönnen kann man auch ohne großen Konsum, zum Beispiel ein leckeres Essen mit eigenem Gemüse, ein ausgedehnter Spaziergang, Sonntags morgens im Bett extralange liegen bleiben und frühstücken, ein Konzert besuchen oder in Ruhe ein neues Buch lesen. Genuss ist oft eine Frage der Haltung, Konsum eine Frage des rechten Maßes. Aus gutem Anlass ein rauschendes Fest zu feiern verspricht allemal den größeren Genuss als täglich das Besondere und Extravagante zu suchen.

 

Zeit

»Suffizienz ist unbequem und braucht viel mehr Zeit!«

Suffizienz ist zwar manchmal unbequem und braucht etwas länger, aber nicht immer. Und es gibt positive Nebeneffekte. Radfahren zur Arbeit dauert (meist) länger – und aber es tut meiner Gesundheit gut und ich habe einen freien Kopf, wenn ich zuhause ankomme. Frisches Essen selber kochen braucht mehr Zeit als Fast Food oder Tiefkühlkost – und es ist gesünder und schmeckt besser. Weniger shoppen spart Zeit und Nerven. Reisezeit in der Bahn lässt sich nutzen, zum Arbeiten oder Entspannen. Suffizienz kann auch bequem sein und Zeitgewinn bedeuten!

Wirtschaft

Wohlstand ohne Wachstum

»Suffizienz mag ja für Einzelne gut sein, aber für die Wirtschaft? Was ist mit dem Wachstum?«

Es ist ein Problem in unserem heutigen Wirtschaftssystem, wenn viele Menschen weniger konsumieren, wenn Produkte länger halten, wenn weniger weggeworfen wird. Aber wenn immer mehr konsumiert wird, und das weltweit, werden die Umweltprobleme noch größer und damit oft auch soziale Ungleichheiten.

Deswegen müssen wir unser Wirtschaftssystem verändern, damit es auch funktioniert, wenn es kein Wachstum gibt. Wir müssen uns von der Abhängigkeit vom Wachstum befreien – und Suffizienz trägt dazu bei, Wohlstand ohne Wachstum zu ermöglichen. Und diese Transformation zu einer Postwachstumsgesellschaft ist gemeinsam gestaltbar!

 

Strukturwandel & neue Unternehmen

»An Suffizienz kann kein Unternehmer verdienen, Suffizienz heißt Stillstand!«

In einer suffizienten Gesellschaft wird es weniger Marktgüter geben, aber auch neue Produkte und Dienstleistungen. Das sehen wir jetzt schon an den Produkten, die beim Do-it-Yourself unterstützen und auch an Bildungs- und Beratungsangeboten. Auch eine Sharing-Ökonomie braucht Produkte und Organisation. Reparaturen bedeuten Arbeitsplätze, individuelle Produkte auch.

Der Wandel von Werten, Lebensstilen und suffizienzfördernden Rahmenbedingungen bringt auch einen Strukturwandel der Wirtschaft und neue Unternehmen und Unternehmensformen. Start-Ups, Social Businesses und Genossenschaften sind jetzt schon Teil der Veränderung.

 

Governance

Gesellschaftliche Transformation

»Wenn es für Suffizienz so viele gute Argumente gibt, dann wird sie sich doch von allein durchsetzen – warum braucht es da die Politik?«

Ein Blick in Fußgängerzonen und Shoppingmalls zeigt ebenso wie die Statistiken über Konsum und Ressourcenverbrauch das ernüchternde Resultat: All die individuellen Ansätze verändern die Konsumgesellschaft nicht wesentlich und bewirken nur geringe ökologische Entlastungen. Gegen den (Konsum-)Strom schwimmen kann beleben, aber auf Dauer wird es eher anstrengen – und es wird vor allem kein Massensport daraus entstehen.

Individuelle Suffizienzstrategien, gemeinschaftliche Suffizienzprojekte, lokale Initiativen (von Lokaler Agenda zu Transition Towns) sind Vorreiter. Mit politischer Unterstützung können sich diese Ansätze vermehren und eine breite gesellschaftliche Veränderung für suffiziente Lebensstile voranbringen.

 

Komplexität

»Suffizienzpolitik ist zu komplex!«

Es stimmt, Suffizienzpolitik ist komplex – aber Politik ist komplex und Politik für Nachhaltigkeit besonders. Suffizienzpolitik ist vernetzt – zwischen den verschiedenen politischen Ebenen und den Themenfeldern -, sie ist langfristig und weltweit orientiert, sie bezieht unterschiedliche Akteure ein und braucht unterschiedliche Maßnahmen.

Suffizienzpolitik ist ein Teil von Nachhaltigkeitspolitik, und die muss in allen Ministerien umgesetzt werden. Gerade wegen der Komplexität von Nachhaltigkeitspolitik braucht es gleichzeitig klare Visionen, konkrete Projekte, eine verständliche und anschauliche Kommunikation und politischen Durchsetzungswillen.

 

Risiko

»Suffizienz ist nicht politikfähig, solche Themen kommen einfach nicht an!«

Es gibt bereits politische Instrumente, die Suffizienz fördern – wovor also Angst haben? Zum Beispiel der Landeszuschuss zum Jobticket in Baden-Württemberg und autofreie Innenstädte und Wohngebiete. Hier kommt es stark auf Diskussion, Beteiligung, neue Bewertungen, und einen neuen Ausgleich von Interessen an und auf Begründungen und Kommunikation – wie so ziemlich immer in der Politik.