Landkarte Suffizienzpolitik

Die Landkarte ist ein webbasiertes Instrument, mit dem Sie als zivilgesellschaftlicher oder politischer Akteur den Ansatz der Suffizienzpolitik in konkrete Strategien, Initiativen und Projekte übersetzen können. Die Landkarte ermöglicht es, die Komplexität des Themas sichtbar und handhabbar zu machen, den eigenen inhaltlichen Fokus zu schärfen, einprägsam zu kommunizieren und die Erfahrungen zu teilen.

 

Suffizienz beschäftigt sich mit der Frage nach dem guten Leben bei einem verringerten Ressourcenverbrauch. «Simplify your life« ist eine individuelle Antwort. Leider müssen wir erkennen, dass nachhaltige Lebensstile in der Praxis vor vielen Hürden stehen, gegen eine »gläserne Wand« laufen. Das muss nicht so bleiben. Wie politische Rahmenbedingungen das gute Leben leichter machen können, wurde mit dem Buch »Suffizienzpolitik« von Schneidewind und Zahrnt (2013) aufgezeigt.

Diese Webseite geht einen Schritt weiter: Nach dem Motto »Simplify political activism« haben wir das komplexe Feld der Suffizienzpolitik in eine digitale Strategie-Landkarte übersetzt. Suffizienzpolitik wird Schritt für Schritt erklärt, greifbar gemacht und mit konkreten Praxisbeispielen verbunden. Dazu gibt es Tipps und Argumente, die eine bildliche, positive und fachlich fundierte Kommunikation zu unterstützen. Dieser Ansatz sowie der aktuelle Stand der Suffizienzpolitik wird auch in der aktuellen Ausgabe von ÖkologischesWirtschaften beschrieben.

 

Wie Sie die Landkarte nutzen können

Akteure aus Zivilgesellschaft, Politik und Verwaltung erreichen schnell ein gemeinsames Bild, was Suffizienzpolitik ist und wie sie vor Ort umgesetzt werden kann (beispielsweise über den ERGO Rahmen, Akteure, Vision oder Ziele). Der Bereich Politische Strategien hilft, eigene Projekte oder Initiativen in den politischen Kontext einzubetten und Schritt für Schritt zu entwickeln. Die passenden Argumente für eine erfolgreiche Kommunikation bietet das Argumentarium.

WissenschaftlerInnen können besonders den ERGO Rahmen nutzen, um sich einen Überblick zu Handlungsansätzen und Projekten zu schaffen und die eigene Forschung zu verorten. Dazu gibt die Landkarte Einblicke in die Frage, wie Suffizienzpolitik praktisch entwickelt und kommuniziert werden kann.

Interessierte, die neu in der Diskussion sind, können Suffizienzpolitik mit der Landkarte spielerisch entdecken. Ein passender Einstieg ist die Verbindung von Nachhaltigkeit, Postwachstum und Suffizienzpolitik in diesem Kontext. Oder ein Vortrag von Angelika Zahrnt auf dem 7. infernum-Tag (Video).

Der Wunsch der AutorInnen ist dabei, dass ein Kernverständnis von Suffizienzpolitik – bei aller Vielfalt der Ansätze und Projekte – erhalten bleibt. Und dass der gemeinsame strategische Rahmen die Koordination zwischen Akteuren und politischen Ebenen vereinfacht und die Effektivität von Suffizienzpolitik erhöht.

 

AutorInnen & Co-Produktion

Die Landkarte wurde in einen partizipativen und design-orientiertem erarbeitet:

Dr. Dominik Zahrnt (Autor), Gründer der Strategie- und Kommunikationsberatung (r)evolutionäre ideen, hat das Instrument der Strategie-Landkarte entwickelt und berät Organisationen u.a. im Bereich der Suffizienzpolitik. Mit Unterstützung von  TOLK hat er die Webseite technisch umgesetzt.

Prof. Dr. Angelika Zahrnt (Autorin), Ehrenvorsitzende des BUND und Fellow des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung, ist für die inhaltliche Ausgestaltung der Webseite verantwortlich.

Das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) hat die Entwicklung der Landkarte begleitet. Die Online-Fassung wurde durch eine Förderung der Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Forschung ermöglicht.

Politisch Aktive aus der Praxis haben durch einen kontinuierlichen Austausch dazu beigetragen, die Herausforderungen der Suffizienzpolitik zu verstehen, Lösungen zu entwickeln und Prototypen zu testen. Die englische Fassung wurde von Caspar Kolster, (r)evolutionäre ideen, und Ray Cunningham, Anglo-German Academic Communication Services, erstellt. Für diese Unterstützung bedanken wir uns herzlich!

Veröffentlicht wurde die Landkarte durch die AutorInnen und das IÖW auf dem Blog Postwachstum veröffentlicht parallel zur 5. Internationalen Degrowth-Konferenz 2016 in Budapest.

Wir freuen uns über Ihr Feedback sowie (redaktionelle) Anregungen an: zahrnt@revolutionäre-ideen.de Sie können die Landkarte wie folgt zitieren: Zahrnt, Dominik / Zahrnt, Angelika (2016): Landkarte Suffizienzpolitik. Online auf dem Blog Postwachstum: www.postwachstum.de/suffizienzpolitik (abgerufen am …)

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Nachhaltigkeit

Zum politischen Begriff wurde Nachhaltigkeit 1987 durch den Bericht der Weltkommission zu Umwelt und Entwicklung, in dem Nachhaltige Entwicklung als eine weltweit und generationenübergreifend gerechte Entwicklung definiert wurde. Zum Verhältnis von Nachhaltiger Entwicklung und Wirtschaftswachstum heißt es in dem Bericht:

»Nachhaltige Entwicklung erfordert klar ökonomisches Wachstum dort, wo elementare Bedürfnisse nicht erfüllt werden. Anderswo kann es mit ökonomischem Wachstum übereinstimmen, vorausgesetzt die Art des Wachstums berücksichtigt die allgemeinen Prinzipien der Nachhaltigkeit und das Prinzip, andere nicht auszubeuten.«

Heute wird immer deutlicher, dass die Fortsetzung des industriellen Entwicklungsmodells und seine Übernahme durch Schwellen- und Entwicklungsländer ökologisch nicht tragfähig ist. Unendliches Wachstum in einer endlichen Welt ist nicht möglich.
Nachhaltige Entwicklung kann sich nur innerhalb der planetarischen Grenzen (dem Umweltraum) entfalten. Die Einhaltung dieser Grenzen muss deshalb Priorität vor wirtschaftlichem Wachstum. Dies gilt vor allem für die Industrieländer. Das Drei-Säulen-Modell der Gleichberechtigung wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Ziele verschleiert diesen Konflikt, ebenso wie der Begriff vom nachhaltigen Wachstum.

Es geht vielmehr um grundsätzlich neue Formen wirtschaftlicher Entwicklung, die nicht auf wirtschaftliches Wachstum ausgerichtet sind. Konzepte hierfür sind die Postwachstumsgesellschaft und Degrowth.

 

Postwachstumsgesellschaft

Eine Postwachstumsgesellschaft ist nicht existenziell auf Wirtschaftswachstum angewiesen, Wirtschaftswachstum ist kein Selbstzweck und nicht weiter dominierendes Paradigma.

Wirtschaft und Gesellschaft entwickeln sich innerhalb der ökologischen Grenzen. Der Ressourcen- und Umweltverbrauch wird auf ein Niveau gesenkt, das langfristig nachhaltig ist und den Ländern des Globalen Südens eine gleichberechtigte Entwicklung ermöglicht.

Um eine Unabhängigkeit und Freiheit vom Wirtschaftswachstum zu erreichen, muss das Wirtschafts- und Gesellschaftssystem mit seinen Strukturen und Institutionen entsprechend verändert werden. Gleichzeitig ist ein kultureller Wandel nötig, der eine Abkehr von der derzeitigen Steigerungslogik des »Immer weiter, schneller, mehr« bedeutet, hin zu einer Orientierung des rechten Maßes und des Genug, der Suffizienz.

Im Postwachstumskonzept ist die Einhaltung ökologischer Grenzen von zentraler Bedeutung, eine Schrumpfung der Wirtschaftsleistung wird nicht angestrebt, aber für möglich und durchaus wahrscheinlich angesehen.

Dagegen ist nach Überzeugung der Degrowth-Bewegung ein Rückgang der Wirtschaftsproduktion (Schrumpfung) im Globalen Norden als Übergang zu einem niedrigeren, global gerechten und ökologisch nachhaltigen Zustand nötig. Als entscheidender Wachstumstreiber gilt das kapitalistische System, das die aktuellen multiplen Krisen verursacht.

 

Suffizienz

Der Begriff der Suffizienz kommt vom Lateinischen »sufficere«, was so viel wie »ausreichen« bedeutet. Es geht bei der Suffizienz um die Frage nach dem rechten Maß und das gute Leben, individuell und in globaler Verantwortung. Bisher galt Suffizienz als individuelle Aufgabe und allein als persönliche Wertentscheidung. Auch jetzt versuchen Einzelne nachhaltige Lebensstile umzusetzen, werben dafür in Gruppen wie der Initiative »anders besser leben« oder engagieren sich in Projekten wie Repair-Cafés oder Urban Gardening. In diesen Ansätzen verbindet sich das Ziel, den eigenen ökologischen Fußabdruck zu reduzieren mit dem Wunsch, durch einen ressourcenleichten Lebensstil die Lebensqualität zu erhöhen. Der Begriff Suffizienz wird dabei vielfältig übersetzt.

 

Suffizienzpolitik

So wichtig die Ansätze Einzelner sind, die Erfolge dieser individuellen Bemühungen sind bisher begrenzt. Denn individuelles Handeln ist immer in institutionelle und gesellschaftliche Kontexte eingebunden. Suffizienzpolitik will diese so gestalten, dass es einfacher wird nachhaltige Lebensstile zu praktizieren. Denn nur dann können sich suffiziente Lebensstile und Projekte aus der Nische verbreiten und damit substantiell zur Verringerung des Umwelt- und Ressourcenverbrauchs beitragen.

Ein zentrales Werkzeug für Suffizienzpolitik sind Nachhaltigkeitsstrategien. Nachhaltigkeitsstrategien fußen in unterschiedlichem Maße auf den Prinzipien Effizienz, Konsistenz und Suffizienz. Während Effizienz darauf setzt, mit technischen Lösungen Ressourcen einzusparen, geht es bei der Konsistenz um die Einbettung in natürliche Kreisläufe, wie bei Erneuerbaren Energien oder biologisch abbaubaren Rohstoffen. Die Suffizienz setzt bei den Ansprüchen und Lebensstilen an, es geht um ein Weniger und Anders, das Ressourcen spart und neue Lebensqualität fördert.

Politische Maßnahmen können sowohl Effizienz, Konsistenz wie auch Suffizienz fördern. Bisher standen in der Politik, beispielsweise der Verkehrspolitik, Maßnahmen der Effizienz (zum Beispiel sparsame Motoren) und der Konsistenz (zum Beispiel Einsatz der Erneuerbaren Energien bei der Elektromobilität) im Vordergrund. Die Förderung des Radverkehrs durch Stadtplanung und neue Konzepte für Mobilität und Versorgung in ländlichen Regionen hatten kaum politische Priorität. Ein Grund dafür, warum Suffizienz auf politischer Ebene kaum als Strategie anerkannt und gefördert wird, ist, dass individuelles Verhalten als Privatsache betrachtet wir. Ein weiterer Grund ist aber auch, dass Maßnahmen der Effizienz und Konsistenz als wachstumsfördernd angesehen werden, während Suffizienz als wachstumsschädlich betrachtet wird.

Allerdings wird zunehmend deutlich, dass Effizienz und Konsistenz als Strategien nicht ausreichen, um die Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Vielmehr müssen Nachhaltigkeitsstrategien auf alle drei Prinzipien setzen und Suffizienzpolitik wesentlich mutiger, kreativer und konsequenter umsetzen. Die »Landkarte Suffizienzpolitik« möchte politische Akteure zu diesem Weg inspirieren und begleiten.